Dienstag, September 27, 2011

Kommunikation und Medien in der Zukunft: Lukas als Student im Jahr 2020


Nun ist tatsächlich genug Zeit vergangen, in der sich die geneigten Leser des K2020-Blogs mit den Studenten der Jahre 1960 bis 2010 auseinander setzen konnten. Alle, die sich bisher noch nicht getraut haben nach Lukas zu fragen oder noch nicht auf meiner bisherigen Kundenliste stehen, mussten leider bis jetzt auf Lukas warten.

Heute scheint 2020 noch weit weg
Lukas hat sich ja im Jahr 2011 gerade mal in seiner weiterführenden Schule eingelebt (hoffe ich mal). Er macht sich vermutlich noch nicht so viele Gedanken über ein potentielles Studium oder die dort zu verwendenden Medien. Stattdessen wird er sich vielleicht manchmal fragen, warum er immer einen Rucksack voller Bücher rumschleppen muss, wenn doch der gesamte Inhalt der Lehrbücher auf ein elektronisches Lesegerät passen würde. So eines, wie es sein Vater schon seit einem Jahr verwendet und fast überall mit hinschleppt. Da könnte er auch mit 24/7-Internetzugang auf alles Wissen der weltweiten Netzwerke zugreifen. Aber das ist noch eine andere Geschichte.

Eine Zukunftsvision – Lukas im Jahr 2020
Anstelle von Lukas habe ich mir mal ein paar Gedanken zu einem möglichen Szenario für seine Zukunft mit den Medien gemacht und in der projektwerft die folgende Illustration auf Basis unserer Medienwolken Illustrationen entwickelt.

Medienwolken Vision 2020, vorstellbare Medienrealität (Version Oktober 2013) – Ein Projekt von "K2020 – Die Zukunft der Kommunikation"
Medienwolken: Vision einer Medienrealität 2020 (Version 10/2013)

Die Medien-Sozialisation von Lukas
Zunächst gehören Lukas und seine Studienkollegen im Jahr 2020 zu den jungen Menschen, die sich nicht an eine Welt ohne Internet und digitale Medien erinnern können, da im Jahr ihrer Geburt (2000) schon die erste große Welle der Interneteinführung vollbracht war. Auch wenn ein Jahr später die erste .com-Blase platzte (wovon der kleine Lukas nichts mitbekommen hat), war der Siegeszug des weltumspannenden, digitalen Netzwerks schon in vollem Gang. Lukas ist in einer Welt und Umgebung mit Mobiltelefonen, Computern, Notebooks, e-Readern, Smartphones, digitalen Kameras, iPods, iPads etc. aufgewachsen. Nahezu jeder Erwachsene in seiner Erfahrungswelt nutzte eines oder mehrere dieser Geräte als wären sie schon immer da gewesen.

Unser junger Student hat in seiner Jugend noch die Weiterentwicklung von diesen technischen Hilfsmitteln erlebt, aber keine Welt ohne sie. Es sei denn, er hat mit seinen Eltern mal eine Reise in ein sehr fernes Land zu sehr ursprünglich lebenden Menschen gemacht. Wenn er nicht zu den jungen Menschen gehört, die sich in ihrer Freizeit sehr für die Geschichte der Menschheit oder die der Medien interessiert hat, kann er die Entwicklung hin zu diesen (aus Sicht älterer Menschen) noch verhältnismäßig neuartigen Technologien nicht wirklich nachvollziehen. Er nutzt sie einfach für seine Freizeit- und Studienaktivitäten ohne sich großartig Gedanken über deren Entstehen und die Zusammenhänge zu machen. Er macht das so wie viele Menschen, die auf ähnliche Art einfach ihre Autos, Fahrräder, Busfahrkarten, Fernseher, Radios oder gedruckten Bücher und Tageszeitungen nutzen – diese Errungenschaften der modernen Menschheit gehören einfach zum Alltag und sind quasi Standard.

Aufwachsen mit bewegten Bildern
Während für Lukas Großvater die Beschäftigung mit der morgentlichen Tageszeitung über Jahrzehnte hinweg zu einem täglichen Ritual am Frühstückstisch gehörte, ist es für Lukas eher typisch, dass er sich auf seinen virtuellen Filteragenten verlässt, der ihm die persönlich wichtigen News aus aller Welt oder seinem sozialen Netzwerk per Signal andeutet. Per Aktivierung bekommt Lukas diese News dann als audiovisuelles Signal auf seiner Datenbrille angezeigt – oder wahlweise auf jedem verfügbaren Bildschirm und Lautsprecher in seiner Nähe.

Für Lukas ist das nur eine konsequente und völlig logische Weiterentwicklung von Technologien, die er schon seit seiner Kindheit kennt: Fernsehen, Video, Internet und virtuelle soziale Netzwerke und Medien (Social Networks und Social Media). Der weitaus größte Teil der Kommunikations-, Informations- und Entertainment-Medien, die er nutzt basieren auf digitalen Daten und Netzwerken.

Video-Telefonie und virtuelle Seminar-Teilnahmen
Ähnlich selbstverständlich verhält es sich mit der Entwicklung bei Gesprächen über größere Entfernungen. Video-Telefonie ist bis 2020 eine übliche Kommunikationsform geworden. Lukas nutzt sie immer dann, wenn er seine Studienkollegen oder Freunde und Familie beim Gespräch auch sehen will oder es sinnvoll erscheint dies zu tun. Aber auch bei virtuellen Seminaren wird diese Technik eingesetzt, damit Studierende auch teilnehmen können, wenn sie durch Krankheit, eine besondere körperliche Einschränkung oder einen kollidierenden Termin ausserhalb ihres Studienortes nicht am Veranstaltungsort des Seminars sein können.

Infografiken und Videos
Ebenso wie die Videotelefonie werden 2020 vermehrt Videos und animierte, zum Teil interaktive Infografiken für die Bildung eingesetzt. Da die jungen Studenten überwiegend mit Fernsehen und Internet aufgewachsen sind gehören diese Wissensvermittler wie Texte zum allgemeinen Lehrstoff. Lukas könnte sich eine Wissensvermittlung nur mit Texten überhaupt nicht vorstellen. Er ist der Meinung, dass man mit einem How-To-Video oder einer virtuellen Simulation viel schneller lernt als mit einem Buch. Die (klassischen) Bücher hat er als Nachschlagewerke zwar immer auf seinem Lesegerät verfügbar, aber ganz durchgelesen hat er kaum eines davon. Durch die schnelle Stichwortsuche muss er nur noch einen passenden Begriff nennen und schon werden ihm die relevanten Stellen angezeigt. Ganz verzichten wird er auf die "Klassiker" trotzdem nicht. Aber er findet lesen in gedruckten Büchern eher lästig. Seine Welt ist ja schließlich mehrdimensional und sehr schnelllebig.

24/7 Nutzung des digitalen Rhizoms
Lukas informiert sich immer dann, wenn er eine Information braucht. Das macht er nahezu ausschließlich mit Hilfe eines seiner mobilen Breitband-Interfaces im digitalen Rhizom, mit seinen verschiedenen Medien- und Nutzungskanälen sowie den sozialen Netzwerken. Das digitale Rhizom wurde früher mal Internet oder Web genannt, bis diese Bezeichnungen nicht mehr zum aktuellen Aufbau dieser digitalen Informationsarchitektur passte. Im digitalen Rhizom ist die Bereitstellung vieler Informationen vom Zugang zu den vorherrschenden "Social Network"- oder "Social Media"-Angeboten abhängig, die jedoch mit ihren vielfältigen Diensteanhängseln quasi ohne ordnende Hierarchien auskommen und über viele verschiedene Zugangspunkte erreichbar sind.

"Fast-Food" Information
Ob die Einstellung unseres Studenten zur On-Demand-Wissenserweiterung so 100%-ig sinnvoll ist, sei mal dahingestellt. Aber Lukas ist in einer Welt aufgewachsen, die diese Einstellung gefördert hat. Er hat es nicht wirklich gelernt lange, komplexe Texte zu lesen und zu üben diese zu verstehen, mit anderen Informationen (aus anderen Themenbereichen) zu vergleichen und zu interpretieren. Ihm sind eher die kurzen Texte von Internetseiten bekannt – kurz und knapp aufbereitete Informationshäppchen, die den schnellen Informationshunger befriedigen aber nicht ganz "satt" machen. Eine Hintergrundrecherche fällt oft den vielen anderen Kommunikations-, Info- und Entertainment-Angeboten zum Opfer, die um Aufmerksamkeit buhlen.

Die Kurzlebigkeit von vielen Informationen ist für Lukas ganz normal. Normal ist auch, dass er die gesehenen oder gelesenen Information kurze Zeit später häufig schon wieder vergessen hat und wieder nachschauen muss. Dies zu hinterfragen muss er noch lernen, wie viele seiner Altersgenossen. Da geht es ihm allerdings ebenso wie vielen Menschen vorangegangener Generationen, die ihre Wissenslücken mit Hilfe eines gedruckten Nachschlagewerks temporär geschlossen haben oder schließen.

Mangel an Medienkompetenz
Eine tiefgreifende Medienerziehung hat Lukas nie genossen. Dafür hatten seine Eltern und der Großteil seiner Lehrer selbst nicht die nötige Kompetenz mitgebracht. In den 2010er Jahren wurde das Thema Medienkompetenz zwar immer wieder heiß diskutiert, aber ein Schul-Pflichtfach neben Deutsch, Mathematik und Englisch ist es nie geworden. Daher hat er leider auch nicht gelernt, Informationen, die er aufnimmt, kritisch zu hinterfragen. Lukas nutzt zwar die modernen Hilfsmittel wie selbstverständlich, aber ohne seinen virtuellen Filteragenten, der seine persönlichen Interessensgebiete im Laufe der Zeit zu sortieren gelernt hat, wäre unser Student bei der Nachrichten- und Informationsselektion ziemlich aufgeschmissen. Das muss er nun, zum Teil sehr schmerzhaft und arbeitsintensiv, während des Studiums lernen.

Zusammentreffen verschiedener Medien-Sozialisations-Generationen
Viele der Professoren im Jahr 2020 sind noch Schüler der "alten Medien Schule" und haben eine Bildung vor und während der Entstehung des Internets und der folgenden digitalen Medien erlebt. Sie haben dem entsprechend andere Ansprüche an Analysefähigkeiten, Allgemeinbildung und fachliches Grundwissen, Kreativität und Verknüpfungskompetenz als Lukas dies bisher gelernt hat. Ein 24/7-Nachschlage-Verhalten lassen sie nicht gelten. Die digitalen Hilfsmittel, mit denen Lukas aufgewachsen und umgeben ist, werden zwar intensiv für die Lehre genutzt, den Dozenten ist die Ausfallwahrscheinlichkeit dieser Mittel aber durchaus bewusst. Daher werden auch immer wieder klassische, analoge Medien für den fachlichen Kompetenzaufbau eingesetzt. Lukas hält das allerdings für überhaupt nicht zeitgemäß.

Analog vs. digital
Die analoge Welt wird im Jahr 2020 zwar nahezu 1:1 in der digitalen Welt abgebildet und dort zum Teil sogar durch neue rein digitale Optionen erweitert (Stichwort "Augmented Reality"), das Leben ganz allgemein findet aber weiterhin analog statt – und geht auch weiter, wenn der Strom mal ausfällt.


Die Zukunft ist offen
Ob dieses Szenario für Lukas und uns tatsächlich ganz genau so eintreten wird kann man durchaus in Frage stellen. Es gibt unglaublich viele Parameter, die auch eine völlig andere Zukunft möglich machen. Eine Prognose für ein kommendes Jahrzehnt abzugeben ist nahezu immer mit einer hohen Fehlerquote behaftet. Ähnlich könnte eine Medienrealität im Jahr 2020 für Studenten in westlich industrialisierten Kulturen aber durchaus aussehen und es ist bestimmt in vielerlei Hinsicht sinnvoll, über die Begleiterscheinungen der Entwicklungen nachzudenken. Ich hoffe allerdings, in einigen Fällen (den eher negativen Entwicklungen) als Orakel daneben zu liegen.

Ich werde weitere Überlegungen in folgenden Blogeinträgen nachreichen. Zunächst sollte diese Vision zu unserem fiktiven Studenten Lukas für erste Gedankenspiele zum Jahr 2020 genügen.


Screenshot des K2020 Impulsbuchs "Medienwolken 1960 – 2020" im iBookstoreDas Impulsbuch "Medienwolken 1960 – 2020"
Seit September 2013 ist auch ein begleitendes eBook mit Illustrationen und Kurzszenarien im iBookstore erhältlich.


Nutzungsrechte
Wir haben auch die "Vision Medienrealität 2020" Illustration mit einem Creative Commons Copyright gekennzeichnet, um sie für interessierte Schüler, Studierende und Lehrende als Diskussionsgrundlage nutzbar zu machen. Für eine kommerzielle Nutzung halten alleine Christoph Steinhard und die projektwerft das Copyright. Die aus der Studienarbeit gewonnenen Ergebnisse werden wir in aktuelle und zukünftige Projekte einfließen lassen.

Eine kommerzielle Nutzung der Illustration oder Teile daraus erfordert immer die schriftliche Zustimmung der projektwerft. Dies gilt insbesondere für Geschäftspräsentationen, Workshops oder Vorträge zum Thema. Dadurch möchten wir u.a. eine Feedback-Schleife für zukünftige Optimierungen etablieren.

Wer mehr über die Medienwolken- oder Kommunikation 2020-Workshops wissen will, kann gerne über info(at)projektwerft.de (Stichwort: K2020 – Medienwolken Vision 2020) oder mein Xing-Profil Kontakt mit mir aufnehmen. Über konstruktive Kommentare hier im Blog freue ich mich auch.




Anmerkungen 
Eine leichte Modifikation des Artikels im Absatz "Die Zukunft ist offen" ist am 18.03.2013 erfolgt.

Die Illustration wurde im Oktober 2013 im Rahmen der Erarbeitung einer "Vision zur Kommunikation 2030" leicht optimiert und um einige Begriffe erweitert.  

Im Juli 2013 habe ich den "Like"- bzw. "gefällt mir"-Button eingebunden und freue mich, wenn er von Facebook-Nutzern als kleine Wertschätzung für die Medienwolken genutzt wird.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen