Donnerstag, Mai 17, 2012

Inszenierung und Authentizität im Zeitalter des Social Webs

"Sie müssen den Social Media Auftritt doch nur gut inszenieren, dann wird die Aktion und die Produkteinführung auch erfolgreich!"

Unsinniger und weniger zeitgemäß kann eine Herangehensweise an moderne, sozial vernetzte Kommunikation kaum formuliert werden.

Nachdem ich den Aufruf von "Social Media Experte" und Power-Blogger Mirko Lange zu einer Blogparade mit dem Thema "Professionelle Kommunikation im Spannungsfeld zwischen Inszenierung und Authentizität" gelesen hatte, dachte ich zunächst: "Dazu muss man ja nun wirklich nichts mehr schreiben, das Zeitalter der Inszenierungen in der professionellen Kommunikation geht doch gerade zuende." Aber ein paar Augenblicke und Gedanken später hat sich mir die Thematik doch anders dargestellt. Warum denke ich das eigentlich?

Die ersten Fragen, die ich mir erneut gestellt habe waren: Für wen und was ist eine Inszenierung eigentlich gedacht? Und: Wann bevorzugen wir, dass etwas authentisch oder sagen wir mal vereinfacht 'echt' ist?

Inszenierung

Inszenierungen haben für mich viel mit Theater, Kino, Show und somit mit Unterhaltung zu tun. Hier soll nicht wirklich die alltägliche Realität abgebildet werden. Häufig wird als Stilmittel sogar mächtig übertrieben. Dies ist insbesondere in der Werbekommunikation, aber auch in der Politik und im Showbiz eine beliebte, einst als kreativ beschriebene Herangehensweise. Überraschend ist das aber schon lange nicht mehr. Beim Entertainment und der Inszenierung von Ereignissen, Personen oder Marken geht es daher nicht um eine wirkliche, reale Welt, vielmehr geht es um eine meist kurzfristige Entrückung aus der Realität.

Wenn etwa Coca Cola mit seinen Coke zero Werbespots der letzten Jahre eine heldenhafte Inszenierung für seinen Softdrink schafft, hat dies nichts mit der Realität zu tun und soll es auch überhaupt nicht – selbst wenn es in einem Spot heißt: "Das Leben, wie es sein soll".



Es soll vermutlich mit der dargestellten Übertreibung all denjenigen "geholfen" werden, die ein peinliches Imageproblem mit dem Getränk haben und es deshalb im Regal stehen lassen. Diese Inszenierung der Übertreibung ist auch in meinem Gedächtnis hängen geblieben. Allerdings in meinem Fall ohne jeglichen positiven Effekt für das beworbene Produkt. Von einem gewissen Unterhaltungs- oder Erinnerungseffekt abgesehen, ist diese Inszenierung also eher sinnbefreit.

Bei dieser Art von professioneller "Kommunikation" (wenn ich klassische Werbung hier mal so nennen will), geht es ganz deutlich um Reize und Impulse, nicht um kommunikativen Dialog. Ein überspitztes Beispiel für die Inszenierung einer Marke, wie sie in klassischen Kampagnen sehr häufig der Fall ist.

Authentizität

Ehrlichkeit und Authentizität hingegen erwarten wir von Freunden. Wir möchten, dass die Menschen, denen wir vertrauen wollen, ehrlich sind, dass sie greifbar und in gewisser Weise erwartungskonform bleiben. Selbst wenn wir einen wankelmütigen Freund begleiten, wissen wir eben,: er ist so, das ist sein Charakter. Eigentlich wollen wir wenig Kontakt zu Menschen, die uns permanent etwas vorspielen. Freunde müssen sich für uns nicht in Szene setzen.

Wann empfinde ich etwas als authentisch?

Die Antwort auf diese Frage ist vermutlich sehr individuell. Bei mit verhält es sich so, dass etwas meinen Erwartungen und bisherigen Erfahrungen entspricht und in gewisser Weise nachvollziehbar sein muss um mit der Auszeichnung "echt" oder "authentisch" bedacht werden zu können.

Ebenso verhält es sich im Umgang mit moderner Kommunikation. Wenn wir einem Anbieter von Produkten (Unternehmen, Dienstleister, Hersteller), einer Institution oder einer Person vertrauen wollen und ein langfristiges Vertrauensverhältnis aufbauen wollen, erwarten wir Ehrlichkeit, Echtheit und somit Authentizität. Wir erwarten, dass Aktionen und Aussagen stimmig sind und zu unseren bisherigen Erfahrungen passen. Wenn das nicht so ist, verlieren wir das Vertrauen und erwarten nichts mehr – oder im noch schlimmeren Fall erwarten wir Unehrlichkeit und Verlogenheit. In einer Partnerschaft zwischen Menschen ist das üblicherweise dann das Ende einer ehemals guten Beziehung.

Auf eine Formel gebracht

Wenn ich also diese sehr persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen ganz simpel reduziere, kommt für mich eine einfach Formel dabei heraus:
Authentizität vs. Inszenierung = Vertrauen vs. Aufmerksamkeit

Offenlegung von Inszenierungen

Die schwierigste Übung für uns alle scheint aber zu sein, den Unterscheid zwischen authentischem Verhalten und Inszenierung in einer Kommunikation zeitnah zu entdecken, insbesondere wenn sich die Inszenierung gut versteckt. Dies ist immer eine Frage der Erfahrung und diese gewinnt Mensch bekanntlich erst im Laufe der Zeit. Wenn es also einem Akteur über einen langen Zeitraum gelingt, eine glaubhafte Inszenierung zu schaffen, indem er einer möglichen Realität sehr nahe kommt, trauen wir Ihm solange, bis er über die selbst inszenierte Scheinwirklichkeit stolpert und damit unsere (negative) Aufmerksamkeit gewinnt – sofern er dies tut.

Mit den Möglichkeiten breit vernetzter Gesellschaften, die mit permanent bereiten Werkzeugen wie Blogs, Twitter-Accounts, mobil-vernetzten Kameras und Mikrofonen sowie Kommentarfunktionen auf Handelsplattformen etc. ausgestattet sind, ist die Aufdeckung einer Inszenierung jedoch wahrscheinlicher geworden.

Unternehmenskultur vs. Inszenierung

Insbesondere für Unternehmen, die sich oder ihre Marken inszenieren wollen, kann es jetzt und in Zukunft zu schweren Verzerrungen der gewollten und der realen Wahrnehmung kommen, wenn die dargestellte Unternehmenskultur nicht der wirklich gelebten entspricht. Es wird nicht lange möglich sein, die Mitarbeiter eines Unternehmens mit Verhaltensregeln (insbesondere in Bezug auf Kommunikation) „unter Kontrolle“ zu halten, damit die Differenz von Schein und Wirklichkeit nicht in einem der Kanäle des „Social Webs“ auftaucht und sich dort unkontrolliert verbreitet und Bestätigung findet.

Zukünftige Entwicklung – eine Vision

Und an dieser Stelle würde ich gerne einen Blick in die nähere Zukunft werfen und eine Hypothese aufstellen. Für Lukas (unseren 20-jährigen Studenten im Jahr 2020) ist die Aufdeckung von inszenierten Auftritten vielleicht schon "kalter Kaffee", da er zu den 2000er Geborenen gehört. Die Profilierung im Web ist etwas selbstverständliches für ihn geworden. Er findet darüber sogar neue Freunde, die tatsächlich seine Interessen teilen und das nicht nur vorgeben. Semantisch ausgerichtete Filterbots helfen ihm (per Social Web) Ungereimtheiten ausfindig zu machen. Die Suche von Informationen in verbundenen Profilen und sogar in sämtlichen Text- und Bildbeiträgen, die einem Autor bzw. Urheber zugeordnet werden können, wird dies möglich machen. Und wie wir wissen: Das Web vergisst nichts. Dadurch wird vieles transparenter und die Chronik eines Menschen, eines Unternehmens oder eines Produktes lässt sich einfacher aufrufen und mit neuen "Geschichten" vergleichen.

Somit ist jeder gezwungen (auch Unternehmen) möglichst authentisch zu sein. Denn niemand ist daran interessiert, von einer anderen Person (einem Journalisten, privaten Blogger oder Mitarbeitern von Wettbewerbern etc.) oder einer Institution (Greenpeace, Utopia, staatliche Stellen etc.) als Hochstapler präsentiert zu werden. Lukas kennt dies 2020 vielleicht schon nicht mehr anders.

Im Jahr 2020 hat eine Inszenierung wieder nur etwas mit Theater, Show und Unterhaltung zu tun und wird nirgendwo für den vermeintlichen Aufbau oder die Erneuerung von Vertrauen eingesetzt.

Vielleicht geht die gesellschaftliche Entwicklung aber doch nicht so schnell und erst der 20-jährige Leon wird solch eine Kommunikations- oder Profilierungskultur im Jahr 2030 erleben und mit ganz anderen Auswirkungen dieser Veränderungen zu kämpfen haben.

Fazit

Damit komme ich nach mittellanger Überlegung wieder zu meinem Ursprungsgedanken zurück: Das Zeitalter der Inszenierungen in der professionellen Kommunikation neigt sich seinem Ende zu. Jedenfalls in all den Bereichen, in denen es insbesondere um Vertrauen geht.


Ergänzung:
Hier ein Link zum ursprünglichen Aufruf zur Blog-Parade von Mirko Lange. Leider ist seine versprochene Zusammenfassung der Beiträge zur Blog-Parade aber noch immer nicht erschienen und die Kommentar-Einträge mit Links zu den anderen (durchaus lesenswerten) Blog-Beiträgen sind scheinbar gelöscht worden (Stand: 10.08.2012). Schade. Daher gibt es die Verlinkung von hier auch nur noch als "historischen" Link.
Link: Aufruf von Mirko Lange zu einer Blogparade

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