"Sie müssen den Social Media Auftritt doch nur gut inszenieren, dann
wird die Aktion und die Produkteinführung auch erfolgreich!"
Unsinniger und weniger zeitgemäß kann eine Herangehensweise an moderne,
sozial vernetzte Kommunikation kaum formuliert werden.
Nachdem ich den Aufruf
von "Social Media Experte" und Power-Blogger Mirko Lange zu einer Blogparade mit dem Thema "Professionelle
Kommunikation im Spannungsfeld zwischen Inszenierung und Authentizität"
gelesen hatte, dachte ich zunächst: "Dazu muss man ja nun wirklich nichts mehr
schreiben, das Zeitalter der Inszenierungen in der professionellen
Kommunikation geht doch gerade zuende." Aber ein paar Augenblicke und Gedanken
später hat sich mir die Thematik doch anders dargestellt. Warum denke ich das eigentlich?
Die ersten Fragen, die ich mir erneut gestellt habe waren: Für wen und was ist eine
Inszenierung eigentlich gedacht? Und: Wann bevorzugen wir, dass etwas
authentisch oder sagen wir mal vereinfacht 'echt' ist?
Inszenierung
Inszenierungen haben für mich viel mit Theater, Kino, Show und somit mit
Unterhaltung zu tun. Hier soll nicht wirklich die alltägliche Realität
abgebildet werden. Häufig wird als Stilmittel sogar mächtig übertrieben. Dies
ist insbesondere in der Werbekommunikation, aber auch in der Politik und im
Showbiz eine beliebte, einst als kreativ beschriebene Herangehensweise.
Überraschend ist das aber schon lange nicht mehr. Beim Entertainment und der
Inszenierung von Ereignissen, Personen oder Marken geht es daher nicht um eine
wirkliche, reale Welt, vielmehr geht es um eine meist kurzfristige Entrückung
aus der Realität.
Wenn etwa Coca Cola mit seinen Coke zero Werbespots der letzten Jahre eine
heldenhafte Inszenierung für seinen Softdrink schafft, hat dies nichts mit der
Realität zu tun und soll es auch überhaupt nicht – selbst wenn es in einem Spot
heißt: "Das Leben, wie es sein soll".
Es soll vermutlich mit der dargestellten Übertreibung all denjenigen
"geholfen" werden, die ein peinliches Imageproblem mit dem Getränk
haben und es deshalb im Regal stehen lassen. Diese Inszenierung der
Übertreibung ist auch in meinem Gedächtnis hängen geblieben. Allerdings in
meinem Fall ohne jeglichen positiven Effekt für das beworbene Produkt. Von
einem gewissen Unterhaltungs- oder Erinnerungseffekt abgesehen, ist diese
Inszenierung also eher sinnbefreit.
Bei dieser Art von professioneller "Kommunikation" (wenn ich
klassische Werbung hier mal so nennen will), geht es ganz deutlich um Reize und
Impulse, nicht um kommunikativen Dialog. Ein überspitztes Beispiel für die
Inszenierung einer Marke, wie sie in klassischen Kampagnen sehr häufig der Fall
ist.
Authentizität
Ehrlichkeit und Authentizität hingegen erwarten wir von Freunden. Wir
möchten, dass die Menschen, denen wir vertrauen wollen, ehrlich sind, dass sie
greifbar und in gewisser Weise erwartungskonform bleiben. Selbst wenn wir einen
wankelmütigen Freund begleiten, wissen wir eben,: er ist so, das ist sein
Charakter. Eigentlich wollen wir wenig Kontakt zu Menschen, die uns permanent
etwas vorspielen. Freunde müssen sich für uns nicht in Szene setzen.
Wann empfinde ich etwas als authentisch?
Die Antwort auf diese Frage ist vermutlich sehr individuell. Bei mit verhält
es sich so, dass etwas meinen Erwartungen und bisherigen Erfahrungen entspricht
und in gewisser Weise nachvollziehbar sein muss um mit der Auszeichnung
"echt" oder "authentisch" bedacht werden zu können.
Ebenso verhält es sich im Umgang mit moderner Kommunikation. Wenn wir einem
Anbieter von Produkten (Unternehmen, Dienstleister, Hersteller), einer
Institution oder einer Person vertrauen wollen und ein langfristiges
Vertrauensverhältnis aufbauen wollen, erwarten wir Ehrlichkeit, Echtheit und
somit Authentizität. Wir erwarten, dass Aktionen und Aussagen stimmig sind und
zu unseren bisherigen Erfahrungen passen. Wenn das nicht so ist, verlieren wir
das Vertrauen und erwarten nichts mehr – oder im noch schlimmeren Fall erwarten
wir Unehrlichkeit und Verlogenheit. In einer Partnerschaft zwischen Menschen
ist das üblicherweise dann das Ende einer ehemals guten Beziehung.
Auf eine Formel gebracht
Wenn ich also diese sehr persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen ganz
simpel reduziere, kommt für mich eine einfach Formel dabei heraus:
Authentizität vs. Inszenierung = Vertrauen vs. Aufmerksamkeit
Offenlegung von Inszenierungen
Die schwierigste Übung für uns alle scheint aber zu sein, den Unterscheid
zwischen authentischem Verhalten und Inszenierung in einer Kommunikation
zeitnah zu entdecken, insbesondere wenn sich die Inszenierung gut versteckt. Dies ist immer eine
Frage der Erfahrung und diese gewinnt Mensch bekanntlich erst im Laufe der
Zeit. Wenn es also einem Akteur über einen langen Zeitraum gelingt, eine
glaubhafte Inszenierung zu schaffen, indem er einer möglichen Realität sehr
nahe kommt, trauen wir Ihm solange, bis er über die selbst inszenierte
Scheinwirklichkeit stolpert und damit unsere (negative) Aufmerksamkeit gewinnt
– sofern er dies tut.
Mit den Möglichkeiten breit vernetzter Gesellschaften, die mit permanent
bereiten Werkzeugen wie Blogs, Twitter-Accounts, mobil-vernetzten Kameras und
Mikrofonen sowie Kommentarfunktionen auf Handelsplattformen etc. ausgestattet
sind, ist die Aufdeckung einer Inszenierung jedoch wahrscheinlicher geworden.
Unternehmenskultur vs. Inszenierung
Insbesondere für Unternehmen, die sich oder ihre Marken inszenieren wollen, kann es jetzt und in Zukunft zu schweren Verzerrungen der gewollten und der realen Wahrnehmung kommen, wenn die dargestellte Unternehmenskultur nicht der wirklich gelebten entspricht. Es wird nicht lange möglich sein, die Mitarbeiter eines Unternehmens mit Verhaltensregeln (insbesondere in Bezug auf Kommunikation) „unter Kontrolle“ zu halten, damit die Differenz von Schein und Wirklichkeit nicht in einem der Kanäle des „Social Webs“ auftaucht und sich dort unkontrolliert verbreitet und Bestätigung findet.Zukünftige Entwicklung – eine Vision
Und an dieser Stelle würde ich gerne einen Blick in die nähere Zukunft
werfen und eine Hypothese aufstellen. Für Lukas
(unseren 20-jährigen Studenten im Jahr 2020) ist die Aufdeckung von
inszenierten Auftritten vielleicht schon "kalter Kaffee", da er zu
den 2000er Geborenen gehört. Die Profilierung im Web ist etwas
selbstverständliches für ihn geworden. Er findet darüber sogar neue Freunde,
die tatsächlich seine Interessen teilen und das nicht nur vorgeben. Semantisch
ausgerichtete Filterbots helfen ihm (per Social Web) Ungereimtheiten ausfindig
zu machen. Die Suche von Informationen in verbundenen Profilen und sogar in
sämtlichen Text- und Bildbeiträgen, die einem Autor bzw. Urheber zugeordnet
werden können, wird dies möglich machen. Und wie wir wissen: Das Web vergisst
nichts. Dadurch wird vieles transparenter und die Chronik eines Menschen, eines
Unternehmens oder eines Produktes lässt sich einfacher aufrufen und mit neuen
"Geschichten" vergleichen.
Somit ist jeder gezwungen (auch Unternehmen) möglichst authentisch zu sein.
Denn niemand ist daran interessiert, von einer anderen Person (einem
Journalisten, privaten Blogger oder Mitarbeitern von Wettbewerbern etc.) oder
einer Institution (Greenpeace, Utopia, staatliche Stellen etc.) als Hochstapler
präsentiert zu werden. Lukas kennt dies 2020 vielleicht schon nicht mehr
anders.
Im Jahr 2020 hat eine Inszenierung wieder nur etwas mit Theater, Show und
Unterhaltung zu tun und wird nirgendwo für den vermeintlichen Aufbau oder die
Erneuerung von Vertrauen eingesetzt.
Vielleicht geht die gesellschaftliche Entwicklung aber doch nicht so schnell
und erst der 20-jährige Leon wird solch eine Kommunikations- oder
Profilierungskultur im Jahr 2030 erleben und mit ganz anderen Auswirkungen
dieser Veränderungen zu kämpfen haben.
Fazit
Damit komme ich nach mittellanger Überlegung wieder zu meinem
Ursprungsgedanken zurück: Das Zeitalter der Inszenierungen in der
professionellen Kommunikation neigt sich seinem Ende zu. Jedenfalls in all den
Bereichen, in denen es insbesondere um Vertrauen geht.
Ergänzung:
Hier ein Link zum ursprünglichen Aufruf zur Blog-Parade von Mirko Lange. Leider ist seine versprochene Zusammenfassung der Beiträge zur Blog-Parade aber noch immer nicht erschienen und die Kommentar-Einträge mit Links zu den anderen (durchaus lesenswerten) Blog-Beiträgen sind scheinbar gelöscht worden (Stand: 10.08.2012). Schade. Daher gibt es die Verlinkung von hier auch nur noch als "historischen" Link.
Link: Aufruf von Mirko Lange zu einer Blogparade
Ergänzung:
Hier ein Link zum ursprünglichen Aufruf zur Blog-Parade von Mirko Lange. Leider ist seine versprochene Zusammenfassung der Beiträge zur Blog-Parade aber noch immer nicht erschienen und die Kommentar-Einträge mit Links zu den anderen (durchaus lesenswerten) Blog-Beiträgen sind scheinbar gelöscht worden (Stand: 10.08.2012). Schade. Daher gibt es die Verlinkung von hier auch nur noch als "historischen" Link.
Link: Aufruf von Mirko Lange zu einer Blogparade
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