Sonntag, Juli 22, 2018

Zukunftsoptionen der Medienhäuser

Bei einem Virtual-Reality-Workshop vor einigen Wochen wurde ich gefragt, wie ich mir die Zukunft von Verlagen und anderen Medienhäusern vorstelle, in einer Welt mit steigender Vielfalt an Medientechnologien. Meine spontane Antwort war: Vielfältig und multimedial.


Geschichtlicher Rückblick

In der darauf folgenden Erläuterung führte ich weiter aus, dass es mit Blick auf die Mediengeschichte der Druckerzeugnisse und der darauf folgenden Erfindungen wie Telegraf, Fotografie, Schellackplatte, Radio, Film und Fernsehen, die als eigenständige Medien-Technologieentwicklungen angesehen werden können, durchaus für eine gewisse Zeit sinnvoll war, diese Medienformen zu unterscheiden und jeweils passende Erzählformen zu etablieren. Ebenso sinnvoll war die Gründung entsprechender Medienhäuser und die Ausbildung von kompetenten Fachleuten mit Expertenwissen.

Mit zunehmender Digitalisierung von Daten und Medieninhalten seit Mitte der 1980er Jahre und insbesondere seit Etablierung der sogenannten "Social Media" Kanäle auf Grundlage des Internets in den 2000er Jahren hat sich dies aber verändert. Durch die mittlerweile nahezu durchgängige Digitalisierung von Inhalten (von der Erstellung bis zur Distribution), hat man eine gemeinsame technische Plattform als digitalen Medienträger (statt unterschiedlicher Trägerformate). Zudem sind extrem viele Werkzeug in Medienunternehmen Computer basierte, digitale Werkzeuge – und somit grundsätzlich nutzbar für die Erstellung und Bearbeitung unterschiedlichster Medieninhalte.

Mit dem Internet und insbesondere dem World-Wide-Web existiert seit spätestens Mitte der 1990er Jahre eine quasi permanent verbindende Infrastruktur für diverse, gleichzeitige Medienkanäle über die mittlerweile sowohl Text/Bild, Podcasts, E-Books, iP-Radio, Video-Streams, iP-TV, AR, VR und diverse andere digitale inhaltliche Formate gleichzeitig distribuiert werden können.

Grafik: Konvergenztendenzen durch digitale Medien. Leicht modifizierte Version von 2015 (die Originalversion "Konvergenztendenzen durch Multimedia" wurde 1995 erarbeitet): Hypothese eines digitalen Konvergenzträgers, die spätestens mit Einführung moderner Smartphones bestätigt wurde. Urheber: K. Heddergott und C. Steinhard. 


Für auditive, visuelle und einige haptische Reize haben wir schon gute bis nahezu perfekte digitale Übertragungsformen und Interfaces entwickelt. Aber zwei Sinnesreize sind noch nicht oder nur ungenügend digitalisierbar. Für olfaktorische und gustatorische Reize sind noch keine guten Ein-/Ausgabe-Interfaces für den Analog-Digital-Analog-Transfer vorhanden.

Grundsätzlich gilt schon jetzt: Die ehemals getrennten Elemente Text, Bild, Ton, Bewegtbild sind schon jetzt über ein etabliertes Ausgabemedium parallel nutzbar (z.B. Smartphone) und es ist sinnvoll, die jeweils günstigste Erzählform für eine Geschichte bzw. den Versuch einer Informationsvermittlung zu wählen. Mit der Einführung von moderner Virtual-Reality-Technologie wurde zusätzlich noch die visuelle und auditive dreidimensionale Verortung im Raum und ein gewisses haptisches Feedback möglich.

Die Fähigkeiten der oben erwähnten Experten werden auch weiterhin benötigt – nur mittlerweile deutlich vernetzter und weniger alleinstehend. Alle Experten müssen dafür über ihren bisherigen "Tellerrand" hinausschauen und eine Vielzahl paralleler Entwicklungen im Blick behalten, die auf die eigene Arbeit Einfluß haben und diese zum Teil sogar disruptiv verändern können.

Gegenwärtige Entwicklungen

Völlig unabhängig davon, aus welchem geschichtlichen Hintergrund heraus ein Medien- bzw. Verlagshaus entstanden ist, sind theoretisch alle Kanäle bespielbar. Einige große ehemals auf den Medienkanal Fernsehen ausgerichtete Medienhäuser machen das schon sehr gut vor, wie am Beispiel der vielfältigen Angebotskanäle der Tagesschau zu sehen ist. Die jeweiligen Sendungen werden zusätzlich mit Texten, Bilden, Infografiken, Videos, Links etc. weit über den eigentlichen Sendetermin des ehemalig zeitlich begrenzten Programmpunkts hinaus begleitet und über verschiedene Kanäle (TV, Webseite, Smartphone-App, iP-TV-App, Teletext, Youtube, u.a.) zeitlich und örtlich unabhängig zugänglich gemacht.

In manchen Medienhäusern fehlt jedoch, trotz Leidensdruck durch abnehmende Nutzerschaft, noch der Mut zur Veränderung und zur ernsthaften Anpassung an die modernen Wünsche der Rezipienten bzw. Nutzer. Schon längst sind Text, Bild, Ton, Video, interaktive Grafiken, Augmented Reality und sogar Web-Virtual-Reality gleichberechtigt nebeneinander nutzbar.

Mögliche zukünftige Ausrichtungen

Es gibt in den Extremausprägungen also grundsätzlich nur zwei sinnvolle Ansätze für Medienhäuser:
  1. Vollständig ganzheitlich multimediale Ausrichtung mit Publikationen über möglichst viele Distributions-/Medienkanäle hinweg und dem Einsatz diverser Monetarisierungsmodelle mit bestmöglichem Preis/Leistungsverhältnis für den Kunden bzw. Nutzer (eher für größere Unternehmen)
  2. Extreme Spezialisierung mit sehr eingeschränkter Anzahl an Distributions-/Medienkanälen und ebenfalls dem Einsatz diverser Monetarisierungsmodelle mit bestmöglichem Preis/Leistungsverhältnis für den Kunden bzw. Nutzer (eher für kleine Unternehmen)

Sicherlich ist auch eine unendliche Menge an Optionen zwischen diesen Extremen denkbar. Diese erfordern allerdings eine sehr überlegte Definition der eigenen Positionierung und insbesondere Antworten auf die Fragen nach dem "Warum gibt es unser Angebot?" und "Worin liegt unsere Besonderheit?". Damit einhergehend, muss die Leitung eines solchen Hauses gut erklären können, wieso der gewählte Weg für die Kunden bzw. Nutzer UND das Unternehmen der passende Weg ist.

Allen erfahrenen Medienexperten ist klar, dass es nicht zuerst auf das Trägermedium ankommt, so sehr man persönlich auch ein bestimmtes Medium bevorzugen mag oder unbedingt eine moderne Variante wählen will. Die größte Bedeutung fällt dem Inhalt zu, den man zugänglich machen möchte und der Entscheidung wie man diesen, mit Rücksicht auf das jeweilige Nutzungsszenario, der anvisierten Nutzerschaft gut vermitteln kann. Ähnlich wie beim Design sollte üblicherweise die Form (das Medium) der Funktion (dem Inhalt bzw. dem thematischenVermittlungsziel) folgen. Hauptsächlich künstlerisch motivierte Arbeiten seien hier einmal explizit außen vor gelassen.

Vom gesprochenen Wort bis zur virtuellen Realität

Unter Umständen ist z.B. ein Podcast, also das gesprochene Wort, die sinnvollere und erfolgreichere Version eines Textes, nicht das gedruckte Wort. Unter anderen Unständen kann aber auch die multimediale Entwicklung eines Virtual Reality Erlebnisses der richtige Weg sein, um ein komplexes oder sensibles Thema konzentriert, räumlich und nachhaltig erfassbar zu machen.

Je nachdem, wie ein Medienhaus in Zukunft aufgestellt ist, wird die Auswahl und Nutzung des passenden Mediums oder die Entscheidung, sich eines Inhalts bzw. Themas anzunehmen, unterschiedlich leicht fallen. Umso klarer die oben erwähnte Positionierung ist, desto einfacher werden diese Entscheidungen für alle Mitarbeiter*innen und die Führungsebene sein und desto zufriedener werden voraussichtlich die Nutzer bzw. Kunden der angebotenen Produkte und Leistungen sein.

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